NACHFOLGEND FINDEN SIE DREI VORTRÄGE VON ASTRID LIPPS zum Thema „BESSER LEBEN AUF DEM LANDE“ – LIEPER VORWERK – ALS EINLEITUNG ZU EINEM WILDSEMINAR IN LIEPE.

Jagd und Wildküche

 Historisches

 Es gibt als Einstieg in die Jagdgeschichte ein interessantes Gedankenspiel:

 Nehmen wir einmal an, die auf ca. 2 Mio. Jahre geschätzte Menschheitsgeschichte würde auf 24 Stunden verkürzt, dann verblieben für die Zeit, in der der Mensch nicht ausschließlich von der Jagd lebte, nicht einmal sechs Minuten.

 Diese faszinierende Berechnung zeigt, welch hoher Stellenwert der Jagd für die Existenz des Menschen zukommt. Das Erbeuten von Fleisch wildlebender Tiere sicherte das Überleben. Bei Ausgrabungen gemachte Funde belegen, dass es neben Pflanzen, Wurzeln und Früchten jegliches essbare Getier war, das von den Vorläufern des homo sapiens als Nahrung genutzt wurde. Stets waren es der Hunger auf Fleisch und die Aussicht, sich über mehrere Tage satt essen zu können, die den Menschen in den verschiedenen Perioden der Steinzeit und in den Jahrtausenden danach veranlasste, dem Wildtier nachzustellen. Das war bei den seinerzeitigen jagdtechnischen Möglichkeiten, die sich in den vorgeschichtlichen Epochen auf Fallgruben, Schlingen, Speere mit Stein- und Knochenspitzen, Wurfholz, Wurfhammer und Netze beschränkte, ein aufwendiges, schwieriges und gefährliches Unterfangen. Musste der auf Waldelefanten, Mammut, Wollnashorn, Höhlenbären, Wisent, Ren und Hirsch jagende Höhlenmensch doch stets damit rechnen, selbst Beute der wilden Tiere zu werden. Fressen und gefressen zu werden war ein Naturgesetz.

 Das Fleisch der Beutetiere wurde anfangs roh gegessen. Erst als der Mensch gelernt hatte, das Feuer zu beherrschen, wurde es auch über der Flamme oder in der Glut geröstet. Das hatte aber mit Kochen oder Küche in unserem heutigen Sinne noch nicht wirklich etwas zu tun; es war vielmehr pure Erleichterung der Ernährung, Nahrungszufuhr zum Zwecke des Überlebens.

 Den Römern kommt das Verdienst zu, wesentliche Grundlagen für unsere heutige Wildküche geliefert zu haben. Als Kolonialmacht, deren Grenzen weit in den Vorderen Orient und bis nach Germanien und England reichten, war Rom in besonderer Weise begünstigt. Bei der Eroberung fremder Länder wurden Erfahrungen in der dortigen Speisezubereitung gewonnen. Die aus den Feldzügen als Beute mitgebrachten aromatischen Ingredenzien eröffneten dem römischen Gourmet völlig neue Perspektiven. Sklaven, die in den Häusern besiegter Könige und Fürsten als Küchenmeister tätig waren und nach Rom in der Häuser reicher Patrizier verschleppt wurden, trugen dazu bei, die Stadt am Tiber zum Schmelztiegel unterschiedlicher Wildzubereitungen zu machen. Was in römischen Küchen zusammengeführt und in Rezepten kreativ umgesetzt wurde, fand Nachahmer selbst in den entlegensten Provinzen. Zur Ehre der Römer muss gesagt werden, dass sie, wie  „Das römische Kochbuch des Apicius“ belegt, in Einzelfällen durchaus auch die Herkunft eines Rezeptes namentlich angaben.

 Was nicht nur den Römern, sondern auch uns bei der Erforschung fremdländischer Küchenpraxis zugute kam, war die Niederschrift der Zubereitung, die in den späteren Jahren nicht nur in den Klöstern mit Fleiß betrieben wurde, jedenfalls aber konnte uns auf diese Weise manches durchaus modern klingende Wildrezept überliefert  werden.

 Wenn man die damals gebräuchliche Zubreitung von Wild betrachtet, so fällt einem die vielfache Übereinstimmung in den verwendeten Aromen mit den heutigen Empfehlungen auf. Safran, Pfeffer, Lorbeer, Gewürznelken, Kardamom, Fenchel, Liebstöckel, Koriander, Anis, Petersilie, Wacholderbeeren – all das gab es schon und wurde verwendet. Es wurden Würzsoßen und Würzweine selber hergestellt, Füllungen und  Teigummantelungen gab es auch schon.

 Ob wir allerdings an der damaligen Zubereitung Geschmack gehabt hätten, möchte ich bezweifeln. Wildgeflügel im Federkleid zu kochen galt damals z.B. als heißer Tip, damit es nicht zu weich wird, wobei ich glaube, dass sie es wenigstens ausgenommen haben – irgendwie durch die Gurgel oder das andere Ende soll das erfolgt sein, was mir anatomisch gesehen nicht möglich oder jedenfalls nicht sehr effizient erscheint, und es wird wohl auch entsprechend unzulänglich gewesen sein – jedenfalls nach unserem heutigen Geschmack. Auch Haarwild wurde zwar ausgenommen aber in seinem Fell vorgekocht und dann erst abgezogen – ein schwer vorstellbares Essvergnügen. Wer übrigens glaubt, der klassische Wildhasenpfeffer, bei dem Blut zum Andicken der Sauce verwendet wird, sei ein modernes Rezept, der irrt. Die Rezeptur ist mindestens 2000 Jahre alt. Sie findet sich im 8. Buch des Apicius unter Position 5 bei der Reihe von insgesamt 13 Hasenrezepten.

 Bereits bei den Römern war klar, dass Wild abhängen muss. Es war ihnen geläufig, dass dadurch das Fleisch mürber wird. Ob sie es allerdings bis zur Fäulnis mit dem sich daraus ergebenden haut gout reifen ließen oder bis der Fasan von selber aus dem Federkleid fiel, wie es später in Frankreich praktiziert wurde, wissen wir nicht.

 Was wir aber aus den überlieferten Schriftstücken wissen ist, dass viele der heute noch aktuellen Wildrezepte auf römischen oder noch älteren Ursprung zurückzuführen sind. Das gilt ganz besonders für spätere Rezeptempfehlungen in der französischen Küche. Dabei fällt auf, dass in keinem der aus der Römerzeit vorliegenden Rezepte eine halbgare Zubereitung empfohlen wird. Es heißt immer: „kochen und braten bis das Tier weich ist“ und es wurde vorgekocht und vorgebraten, um es auf jeden Fall gar zu bekommen.

 Einen entscheidenden Anteil an der Verbreitung, Fortschreibung und damit Entwicklung der Wildküche hatten die des Lesens und Schreibens sowie der lateinischen Sprache kundigen Ordensbrüder in den Klöstern, so dass wir heute wissen, dass unsere aktuelle Wildküche zwar ganz stark von regionalen Einflüssen und Erfahrungen geprägt ist, aber ihre Grundlage im römischen Reich bzw in den Ländern der Antike hatte, aus denen die Römer wiederum ihre Erfahrungen sammelten und vor allem niederschreiben ließen.

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Wildküche heute

 Das Nahrungsmittel Wild ist heute im 21.Jahrhundert über die ganze Welt verbreitet. In vielen Ländern hat sich ein frei zugänglicher Wildhandel entwickelt, in dem Wildfleisch von Tieren aus heimischer und fremder Wildbahn (Osteuropa), von gefarmten (Neuseeland, Namibia, Südafrika) und gegattertem Wild (Deutschland) angeboten wird.

 Die größte Variationsbreite in der Wildzubereitung finden wir in Europa. Während Rezepte der mittel- und ostdeutschen Küche eher als traditionell einzustufen sind, sind in Süddeutschland französische und österreichische Einflüsse unverkennbar. Vergleichbares gilt für die Wildzubereitungen in Polen, Tschechien und Ungarn. Hier spielen die durch die Köche des Adels eingebrachten französischen Kreationen eine Rolle. Südländisch präsentiert sich die Wildküche in Italien, Spanien und Südfrankreich.

 Während bei den Germanen und Slawen Wild von alters her durchgegart wird, ist in Frankreich, England und in den von diesen Ländern beeinflussten Küchenkulturen die fast rohe Zubereitung von Wildfleisch eine vergleichsweise junge Tradition. Die Erklärung für „rare“, „à point“ oder „saignant“ zubereitetes Wildfleisch ist in der Art der Jagd zu finden. Das auf der Jagd zu Pferde, der Parforcejagd, erbeutet Wild lieferte aufgrund der Stresssituation ein Fleisch, das praktisch keine Reifung durchlief. Außerdem war es üblich, das Fleisch noch am selben oder spätestens am nächsten Tag zu verzehren. Wurde das frische nicht abgehangene Fleisch durchgebraten, wie es der alten Tradition entsprach, blieb es zäh und war nicht essbar. Um es überhaupt essen zu können, musste es mehr oder weniger roh gegessen werden. So wurde aus der Not eine die französich-angelsächsische Küche prägende Fleischzubereitung geboren. Krankheiten, die sich durch die rohe oder halbrohe Zubereitung von Wildfleisch einstellten, wurden in ihrer Ursache gar nicht erst wahrgenommen und als gottgegeben hingenommen.

 Im Gegensatz zur französisch-angelsächsischen Küchentradition steht die mittel- und osteuropäische Küchenerfahrung. Wildfleisch wurde unbedenklich durchgegart. Das hier verarbeitete Wildfleisch stammte von Wildtieren, die auf der Einzeljagd oder vom Pirschwagen aus ohne Stress erlegt und darüber hinaus lange genug abgehangen wurden.

 Ganz andere Wege in der Wildzubereitung gingen die asiatischen Länder.

 In Indien war Wildzubereitung aufgrund religiöser Einstellungen nur bedingt möglich. In Japan und China wurde die Zubereitung durch einen ökologischen Faktor bestimmt, nämlich den Mangel an Holz und die sich daraus ergebende Notwendigkeit, auf kleiner Flamme möglichst viel zuzubereiten. So wurde und wird heute noch nicht nur Wildfleisch in kleine und kleinste Stücke geschnitten und in einer weiten gerundeten Schüssel, dem Wok, schnell gegart.

 In Afrika wiederum bestimmt in den Dörfern die althergebrachte Küche, in den Städten die Küche der ehemaligen Kolonialherren die Art der Wildzubereitung.

Eine Sonderstellung in der Wildzubereitung nimmt die Neue Welt ein. Als typische Einwanderungsländer finden sich in amerikanischen, kanadischen und australischen Wildrezepten  Vermischungen aus heimischen Zubereitungsarten und solchen, die in der Heimat der Neuankömmlinge üblich waren.

 Heute, nicht zuletzt dank der weltumspannenden Informationstechnik, gibt es diese Vermischung in fast allen Küchenkulturen. Unsere heutige Zeit integriert in die Zubereitung von Wild aber nicht nur fremdländische Erfahrungen sondern auch jüngste Erkenntnisse der Ernährungswissenschaft, der Fleischforschung und der Wildbrethygiene

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Fleischqualität und Wildbrethygiene

 Die Art der Jagd, die Treffpunktlage des Schusses auf den Wildkörper sowie die nachfolgende Behandlung des erlegten Tieres wirken sich entscheidend auf die spätere Fleischqualität aus. Wir möchten unser Wildfleisch nach dem Braten zart und mürbe haben. Leider ist das nicht immer der Fall. Woran liegt das? An uns Köchen? Nicht unbedingt.

 Wird das Wild vor dem Erlegen gehetzt, wie es z.B. bei einer Treibjagd oder Drückjagd geschieht, dann vermindert sich aufgrund der Stresssituation der körpereigene Glykogengehalt. Glykogen ist ein tierisches Reservekohlehydrat, welches sich nach dem Tod in Milchsäure umwandelt. Darauf folgt die Totenstarre und anschließend das Zartwerden des Fleisches. Die Milchsäure sorgt für eine keimhemmende Säuerung des Fleisches und mobilisiert Enzyme, die die großen Eiweißmoleküle aufspalten und feinste Muskelfasern auflockern. Wird Glykogen durch Streß im Tierkörper aufgrund hohen Energieverbrauchs rapide abgebaut, dann fehlt es für eine optimale Fleischreifung. Diese ist dann mangelhaft und bedeutet, dass das Fleisch lange nicht so zart und mürbe wird, wie es ohne vorherige Hetze wäre. Wenn dieser Braten hart bleibt, liegt es also nicht am Koch. Die Fleischreifung dauert übrigens 36 bis 92 Stunden nach Eintritt des Todes, abhängig vom Gewicht des Wildkörpers.

 Deswegen hat man früher die auf einer Treibjagd erlegten Hasen und Wildkaninchen über Tage und Wochen abhängen lassen. Sie sollten weich werden. Das wurden sie auch, denn sie verdarben schlicht und einfach; Fäulnis macht bekanntlich auch weich. Das muss man nicht weiter kommentieren.

 Ein weiterer Grund dafür, dass selbst Fleisch von jungen und nicht gehetzten Tieren trotz sorgfältigen Bratens nicht weich wird, liegt in einer zu schnellen Abkühlung des Wildkörpers.

 Indikator für die Fleischreifung ist der in der Muskulatur in verschiedenen Zeitabständen gemessene pH-Wert, also der Säurewert. Vor dem Einsetzen der Totenstarre liegen die pH-Werte um 6,2 bis 6,4. Sie fallen im Verlauf der Fleischreifung ab auf 5,5 bis 5,7 und sind am Ende des Reifungsprozesses geringfügig höher, so ca. bei 5,8 bis 5,9.; geht das Fleisch in Fäulnis über, so steigt der pH-Wert auf 7 und darüber. Bei krankem Wild ist das übrigens auch der Fall. PH-Werte über 7 machen das Fleisch genussuntauglich!

Greift man nun in diesen Reifungsprozess ein, indem man den Tierkörper noch vor dem Absinken des pH-Wertes, also vor Eintritt der Totenstarre, auf unter 10° herunterkühlt – unsere Wildkühlkammern haben 4-7°- dann verursacht man durch den Kälteschock eine Muskelfaserverkürzung, damit Verhärtung und damit Zähigkeit und Saftverlust. Einen Braten aus einem solchen Stück können Sie bearbeiten wie ein Weltmeister. Es wird nicht weich und zart werden!

 Auswirkungen auf die Fleischqualität hat auch die Treffpunktlage des Schusses auf den Wildkörper bezw. die Schusswirkung.

 Liegt der Schuss so gut, dass das Tier sofort verendet, so ist das für die Fleischqualität optimal. Flüchtet das Tier jedoch angeschossen, dann tritt der zuvor dargestellte Glykogenabbau ein, und dies umso mehr, je länger und weiter das Tier flüchtet. Wird es erst Stunden später nach einer Nachsuche mit dem Hund gefunden, ist von qualitativ minderwertigem Wildbret auszugehen.

 Ein schlechter Treffer hat darüber hinaus noch weitergehende negative Folgen, womit wir zur Wildbrethygiene kommen. Wird durch das Geschoss der Magen-Darm-Bereich getroffen und sind in der Bauchhöhle Blutgefäße verletzt, sind ein Einschwemmen von Magen- und Darmbakterien in die Blutbahn und deren Verteilung in der Muskulatur nicht auszuschließen. Bis zur Absenkung der Kerntemperatur im Fleisch unter 10° (das dauert bei stiller Kühlung bis zu 24 Stunden) vermehren sich diese Bakterien zum Teil rapide. Selbst bei Temperaturen unter 10° gibt es noch bei durchaus krankmachenden Bakterien diese Vermehrung, ganz abgesehen von der ebenfalls eintretenden negativen Geschmacksveränderung.

 Diese Folge hat es auch, wenn das Wild nicht unmittelbar nach dem Erlegen sondern erst später ausgeweidet wird. Der Grund: Bereits 30-40 Minuten nach dem Eintritt des Todes beginnt die Magen-Darm-Barriere zusammenzubrechen mit der Folge, dass die in den Eingeweiden lebenden Keime durch die Darmwände austreten und sich im Fleisch der Bauchhöhle ansiedeln.

 Das sind alles Gesichtspunkte des Produktes Wild, die durchaus einen Unterschied zum Schlachtvieh machen, wenn wir mal davon ausgehen, dass es in den Schlachthöfen streng hygienisch vorgeht.

 Man sollte andererseits bedenken, dass Wildtiere bei aller Problematik das, was der größte Teil der Schlachttiere aufzuweisen hat, nicht haben und was sich für uns Verbraucher positiv auswirkt: keine Antibiotika, die in der industriellen Tierhaltung jedem Tier bis zu 24 mal verabreicht werden, bevor es geschlachtet wird und bei uns auf den Tisch kommt, kein Cortison, welches Schweinen vor dem Schlachten verabreicht wird, damit das Fleisch schön viel Wasser speichert, kein Ekelfutter, dessen Bestandteile sich ja auch im Fleisch auf unserem Tisch wieder finden.

 Wildtiere leben in Freiheit in großen Revieren und kommen deswegen so gut wie nie mit ihrem eigenen Kot in Berührung. Bei Schlachttieren sieht das ganz anders aus. Wildtiere sterben, wenn der Schuss gut platziert ist, auf der Stelle, ohne tagelange Ängste auf Transporten und in Schlachthöfen zu erleiden. Und nicht zuletzt werden Wildtiere nicht so unbeschreiblich gequält, wie das bei dem Schlachtvieh der Fall ist

 Im Vergleich zur Haustierschlachtung erfolgt das Ausweiden erlegter Wildtiere zumeist in freier Natur. Jeder gute Jäger wird dabei sorgfältig jede Verunreinigung vermeiden, das sauber versorgte Stück sorgfältig in die Wildkammer transportieren, es wenn überhaupt nur mit klarem Wasser auswaschen und dann in hygienische einwandfreier Umgebung langsam herunterkühlen lassen.

 Dann hat das Wildbret die höchste Qualität und ist leicht und gut zu verarbeiten.

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