Das „edle deutsche Weidwerk“ verkommt langsam einerseits zum Sport und andererseits zum forstlichen Hilfsdienst!
„Die Weidgerechtigkeit, dieser unklare und verquaste Begriff, spielt bei uns keine Rolle“ – so wörtlich Mathias Graf v. Schwerin, ehemals Vorstand des ÖJV Brandenburg-Berlin, in einem Interview mit dem „Dauerwaldpapst“ Wilhelm Bode 2023.
Das deutsche Weidwerk – Grundlagen.
Seit etwas mehr als 175 Jahren, nämlich der „bürgerlichen Revolution“ von 1848, betreiben wir die „deutsche bürgerliche Jagd“. Sie ist eine eigene nachhaltig ausgeübte Tätigkeit von hohem kulturellem Wert, also eine „Nachhaltswirtschaft“ wie die Landwirtschaft und die Forstwirtschaft, mit denen sie eng verbunden ist. Ihr wesentlicher Inhalt ist die Bejagung und Hege des heimischen Wildes in Übereinstimmung mit dem jeweiligen Biotop und in Beachtung vorrangiger Interessen der Land- und Forstwirtschaft; Ziel dieser Bejagung ist die Erhaltung eines gesunden und artenreichen Wildbestandes als gesamtgesellschaftliche landeskulturelle Aufgabe. Dabei sind kraft gesetzlicher Vorschrift die „allgemein anerkannten Grundsätze deutscher Weidgerechtigkeit“ zu beachten.
Die drei tragenden Säulen unserer Jagd sind mithin Nachhaltigkeit, Biodiversität und Tierschutz – letzterer hat sogar Verfassungsrang. Wir hegen und bejagen also Mitgeschöpfe, die ein wesentlicher Teil unserer natürlichen Umwelt sind und unserer verantwortungsvollen und gesetzlich geregelten Pflege und Rücksicht anheimgegeben sind.
Wir haben nämlich die Erde mit all ihren Pflanzen und Tieren nicht von unseren Vorfahren geerbt, sondern von unseren Kindern geliehen!
Weidgerechtigkeit – was ist das?
Was Graf Schwerin „unklar und verquast“ nennt, bezeichnet der Jurist als „unbestimmten Rechtsbegriff“, und der ist weder unklar noch verquast, sondern ein wichtiges Rechtsinstrument im menschlichen Leben. Derartige Begriffe gibt es im Recht öfter, und sie sind immer wichtig, wie z. B. „Treu und Glauben“ oder das „Gemeinwohl“ oder die „guten Sitten“. Denn der Gesetzgeber, also unser Parlament, hat einerseits die Möglichkeit, Gesetze sehr präzise für ganz bestimmte Sachverhalte zu fassen, wofür er „bestimmte Rechtsbegriffe“ wählt. Aber es gibt auch Lebenssachverhalte, in denen eine Wertung stattfinden muss oder bei denen die Entwicklung nicht zu sehr eingeschränkt werden soll, und die regelt man dann eben mit Begriffen, die auslegungsfähig und interpretierbar sind, im Zweifel durch die Gerichte.
So ein unbestimmter Rechtsbegriff ist die Weidgerechtigkeit. Zu ihr zählen alle Grundsätze der guten fachlichen Jagdpraxis oder, wie es das Landesjagdgesetz von Baden-Württemberg in § 8 Abs. 1 sagt, alle „geschriebenen oder ungeschriebenen Regelungen und gesellschaftlichen Normen zur Ausübung der Jagd, insbesondere im Hinblick auf den Tierschutz, die Tiergesundheit, den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen, das Verhalten gegenüber anderen Inhaberinnen und Inhabern des Jagdrechts, jagdausübungsberechtigten Personen und der Bevölkerung sowie im Hinblick auf die Jagdethik“.
Jagdethik – weg damit?
Damit landen wir bei „noch so einem unnötigen Begriff“ – der Jagdethik. Sie beschreibt den ethischen Umgang mit Wildtieren bei der Jagdausübung, umfasst die Verantwortung gegenüber dem Wild und die Berücksichtigung gesellschaftlicher Erwartungen an den Jäger. Sie verlangt ferner die Einhaltung von Gesetzen und Vorschriften sowie die kontinuierliche Weiterbildung und Selbstreflexion des Jägers. M. a. W.: das alles und noch einiges mehr macht auch den Inhalt von Weidgerechtigkeit aus.
Ist das alles überflüssig?
Es sieht ganz so aus.
Denn der Eindruck drängt sich auf, dass wir auf dem besten Weg sind, die Jagd einerseits zum Beute-effizienten Schießsport zu machen, und andererseits als Jäger und Jägerinnen nur noch zu Hilfsorganen der Forstpartie degradiert zu werden.
Die schlimmen Indizien:
Seit geraumer Zeit beobachten wir Vorgänge, die auf Jagdethik und Weidgerechtigkeit keine Rücksicht mehr zu nehmen scheinen – eine ungute Entwicklung. Das können wir etwa an Folgendem festmachen:
Mindestabschusspläne
Die Abschussplanungen etlicher Bundesländer sehen immer wieder sog. „Mindestabschusspläne“ vor. Wir haben „ein Rechtsgutachten erstellt, das auf 30 Seiten nachweist, dass der brandenburgische Mindestabschuss rechtswidrig ist. Das Gutachten kommt zu dem Ergebnis: § 4 Abs. 4 und 6 der DVO zum Landesjagdgesetz Brandenburg verstößt gegen die in Paragraf 1 Abs. 1 und 2 Bundesjagdgesetzes und im Landesjagdgesetz enthaltene Hegepflicht und damit auch gegen die Grundsätze der deutschen Weidgerechtigkeit. Die Vorschrift verstößt darüber hinaus gegen das Tierschutzrecht. Sie ist nichtig und aufzuheben. Zugleich ergibt sich: Der Slogan „Wald vor Wild“ ist unvertretbar – das Jagdrecht fordert insbesondere durch die Bedeutung der Hegepflicht eindeutig ein aktives Bekenntnis zu „Wald und Wild“.
Aber „der Hund bellt und die Karawane zieht weiter“.
Wald ohne Wild
Der glücklicherweise krachend gescheiterte Versuch in Brandenburg, mit einer Jagdgesetznovelle die Jagd zu einer reinen Hilfstätigkeit für den Waldbau zu degradieren, ist immer noch in unguter Erinnerung. Da schickt sich jetzt Rheinland-Pfalz an, ein „jagdfeindliches“ Landesjagdgesetz im „Schweinsgalopp“ durchzuwinken. Damit sollen die Jäger zu reinen Waldgehilfen gemacht werden, die auch noch mit Verwaltungszwang kujoniert werden können. Dam- und Muffelwild soll in „Duldungsgebiete“ – was für ein übles Wort! – zurückgedrängt werden, und mehr als 50-mal wird im Gesetz auf die Regelung der zuständigen Behörde verwiesen, die somit allein und ohne parlamentarische oder sonstige Kontrolle entscheiden kann, was ihr passt und was nicht.
Von Weidgerechtigkeit oder Jagdethik sieht man da nix!
Nachtzieltechnik
Schon im Mai 2019 haben wir die Nachtzieltechnik als eine Erosion der Weidgerechtigkeit beschimpft.
Im Mai 2024 hat das Forum Lebendige Jagdkultur in einem Aufruf um zurückhaltende Verwendung der Nachtzieltechnik gebeten, und in Beiträge zur Jagd- und Wildforschung Bd. 49 (2024) S. 249-254 habe ich mich zur Nachtzieltechnik abwertend geäußert. Jetzt aber wurde im Bundesrat am 22. Mai 2025 der Vorstoß Hessens zur Freigabe von Nachtzieltechnik beraten. Der Bundesrat begrüßte den Vorschlag, offensichtlich, ohne sich jemals Gedanken zu den Vorteilen, vor allem aber den evidenten Nachteilen der Nachtzieltechnik gemacht zu haben.
Hessen schiebt natürlich – unintelligenter geht es kaum – die ASP für die Förderung der Nachtzieltechnik vor. Und weil wir schon dabei sind – außerdem „strebt der Minister an, das waffenrechtliche Verbot der Montage von Infrarot-Aufhellern, Taschenlampen oder ähnlichen Lichtquellen an Waffen aufzuheben. Bereits jetzt finden in mehreren Ländern künstliche Lichtquellen, insbesondere bei der Bejagung von Schwarzwild, Anwendung. Allerdings ist es nach geltendem Waffenrecht verboten, die Lichtquelle an der Jagdwaffe zu montieren. Auch diese Unterscheidung ist für viele Jäger schwer nachvollziehbar, da eine Montage die Handhabung erleichtern und damit für einen sicheren Schuss sowie eine tierschutzgerechte Erlegung sorgen würde, wie es in der Pressemitteilung weiter heißt.“
Auch der Deutsche Jagdverband (DJV) begrüßt die Bundesratsinitiative Hessens und fordert auch noch, dass die Vorschläge aus Hessen nun ihren Weg in das neue Waffengesetz finden – da hoffen wir doch mal ganz fest darauf, dass der Landesjagdverband Brandenburg endlich aus diesem unnötigen Jagdverband austreten möge!
Und der Bundesverband Zivile Legalwaffen BZL hat den Vorstoß Hessens erstmal begrüßt, ihn aber auch detailliert kritisiert, um seine Kritik einige Tage später mit törichter Begründung zurückzuziehen – auch ein höchst brauchbarer Streiter für die Weidgerechtigkeit.
Rehwildbejagung.
So richtig an den Kragen geht es jetzt dem Hirsch des kleinen Mannes, dem Rehbock. Der wird schon gelegentlich am Tage mit der Drohne im Einstand beäugt, und demnächst mit der Nachtzieltechnik in „des Waldes Duster“ erlegt, und in Baden-Württemberg möchte der zuständige Minister Peter Hauk (CDU) den Aufgang der Rehwildjagd auf den 1. April datieren – dies sei, so offensichtlich die dümmliche Begründung, die „logische Konsequenz“ auf die sich verändernden Umweltbedingungen. „Vom 16. Juni bis 15. Juli soll dann eine Jagdruhe herrschen. Das Ende der Jagdzeit auf capreolus capreolus läge dann auf dem 15. Januar, anstelle bislang zum 31. Januar.
Allerdings hat das Ministerium sich hier ein Hintertürchen offen gelassen: auf Antrag darf in Baden-Württemberg in den letzten beiden Januarwochen Rehwild auf Bewegungsjagden erlegt werden.
Beim LJV sorgt das für Kopfschütteln. Denn nach dem Ende der äsungsarmen Wintermonate ist das Rehwild per se auf Flächen wie Wiesen, Feldern und an Waldrändern unterwegs.“
Fazit
Wir erleben leider zunehmend eine Erosion der Jagdethik und damit der Weidgerechtigkeit. Dabei bleiben allerdings die Folgen weitgehend unberücksichtigt. Beim Rehwild machen sich mancherorts die Folgen der ASP-Zäune und der zunehmenden Wolfsbesiedlung stark bemerkbar. Sauen reagieren empfindlich auf die gesteigerte Nachtjagd und nehmen oft Kirrungen nicht mehr an. Beim Rotwild sind starke Trophäenträger schon mal um Mitternacht gefallen – honni soit … usw.
Das eben ist der Fluch der bösen Tat,
dass sie fortzeugend Böses muss gebären.
Ihr Dr. Wolfgang Lipps